Liebe alle!

Unser letzter Bericht liegt bereits einige Wochen zurück; unglaublich wie schnell die Zeit vergeht. Wir beide deuten das als gutes Zeichen, denn Langeweile kommt bei uns keine auf. Seit dem Eintrag in Toila haben wir viel Schönes, Spannendes und zum Teil auch Aufregendes erlebt. Gerne lassen wir euch hiermit etwas an unserem Unterwegssein teilhaben.

 

Nach ein paar Tagen Campingferien in Toila (wir haben das Ausspannen auf dem toll eingerichteten Campingplatz sehr genossen aber nachträglich leider erfahren, dass wir Imke und Rainer knapp verpasst haben) sind wir am 12. Juni 2014 bei regnerischem Wetter in Richtung russischer Grenze losgezogen. Auf dem Weg zur estnisch-russischen Grenzstadt Narva haben wir die ehemals geheime und gesperrte Stadt Sillamäe passiert. In Sillamäe wurde zu Sowjetzeiten unter grosser Geheimhaltung Uran angereichert. Als Konsequenz dieser Geheimhaltung existierte die Stadt auf keiner Landkarte. Die Beeinträchtigungen der Umwelt sollen, so die Infos aus Internet und Reiseführer, in der Gegend um Sillamäe nach wie vor gross sein. Entsprechend mulmig war es uns zu Mute beim Passieren der ehemaligen Geisterstadt.

 

In Narva, der östlichsten Stadt Estlands, haben wir uns nochmals mit Vorräten eingedeckt. Der Grenzübertritt nach Russland stand unmittelbar bevor. Was erwartet uns wohl in diesem unglaublich grossen und für uns bis dahin unbekannten Land? War Kaliningrad lediglich eine Light-Version von Russland, so dass hier andere, d.h. rauhere Sitten gelten? Wir waren sehr gespannt.

 

Die richtige Grenzpassage haben wir nach einigen Irrwegen dann doch noch gefunden. Beim Übergang für Lastwagen und Autos wollten die Beamten uns nicht abfertigen. Für uns nicht nachvollziehbar, denn wir fühlten uns mit unseren schwer beladenen Fahrrädern den tonnenschweren Brummis näher als den zufussgehenden russischen Einkaufstouristen. Für Fahrräder gibt es keinen separaten Übergang und so mussten wir unsere Räder durch die engen Türen und Gänge des Fussgängerübergangs schleusen, was wegen den vielen Schwingtüren einen ungewollten Stau verursachte. Auf der russischen Seite wollten dann noch die notwendigen Formulare korrekt ausgefüllt sein, ehe wir schwubs drin waren im „richtigen“ Russland. Bei der nächstgelegenen Bank haben wir dann mal ein paar Extraeuros in den lausigen Wechselkurs investiert, bevor wir uns nach dem Grenzprozedere auf unsere Stahlrosse schwangen und loszogen. Unser nächstes Ziel war St. Petersburg, das wir in drei Tagen, so unser Plan, erreichen wollten.

 

Für die erste Nacht auf russischem Boden peilten wir einen lokalen Flugplatz an. Flugplatz deshalb, weil es dort gemäss unserem Reiseführer möglich ist zu campieren. Beim örtlichen „Produkti“ haben wir uns noch rasch mit Wasser eingedeckt. Die schlafende, vor allem aber fies stinkende Bulldoge bei der Eingangstüre war für uns kein Grund, den Laden nicht zu betreten. Endlich auf dem Flugplatz angekommen, wurden wir sehr herzlich vom Betreiber und den zahlreichen Hobbypiloten bzw. Hobbyfallschirmspringern empfangen. Wir durften unser Zelt in unmittelbarer Nähe von Hauptgebäude, Kiosk und Fallschirmzielgelände (nein, es landete gottlob keiner der Freizeitfallschirmjäger auf unserem fragilen Eigenheim) aufstellen. Neben einer Flugplatzführung, diversen Flugshoweinlagen und dem Angebot eines Passagierfluges wurde uns sogar die Banja (russische Sauna) angeboten. Die Stirn des jungen Flugplatzbetreibers wurde urplötzlich sehr faltig, als er erfahren hat, dass wir zum Abendessen nur Pasta mit Sauce essen wollten. Dankend lehnten wir das Angebot ab unser Menü mit Fleisch, Bier und weiteren Beilagen anzureichern. Wir erlebten eine unglaublich schöne und herzliche Gastfreundschaft und waren tags darauf fast etwas wehmütig, als wir den Platz verliessen.

 

Die Weiterfahrt in Richtung St. Petersburg führte uns an Peterhof, der ehemaligen Sommerresidenz des Zaren vorbei. Unglaublich wie pompös und prunkvoll die Gebäude und die Parkanlage waren. Einen Teil des frei zuglänglichen Geländes haben wir besichtigt und kamen aus dem Staunen fast nicht mehr heraus. Wir sind also angekommen, im Land der grossen Gegensätze.

 

Nach der Besichtigung konnten wir in Peterhof auf einem Stellplatz für Wohnmobile unser Zelt aufschlagen. Im nahen Baltic-Center (Kongressgebäude) durften wir sämtliche Sanitäranlagen benutzen. Die hightech-Duschkabine hatte gefühlte 52 Duschbrausen, die sich mit mindestens eben so vielen Knöpfen und Hebeln bedienen liessen. Dass man gleichzeitig noch zwischen zig russischen Radioprogrammen wählen konnte, versteht sich von selbst. So sind wir unverhofft zum besten Duscherlebnis ever gekommen. Auf der Weiterreise wird dies, so unsere Vermutung, nur schwer zu toppen sein. Dem starken(!) und vor allem kühlen Nordwind hat unser Zelt übrigens bestens getrotzt. Nur Saubermachen mussten wir am nächsten Morgen selber...

 

Die Fahrt nach St. Petersburg war ein ziemliches Abenteuer. Anfangs auf vollen Strassen, später auf tollen Radwegen und schlussendlich nur noch auf Trottoirs haben wir das gemütliche B&B von Svetlana dann doch noch erreicht. Das Navi hat sich einmal mehr bestens bewährt. Grössere Suchaktionen blieben aus. Bei Svetlana fühlten wir uns sogleich sehr wohl. Die sehr zentral gelegene Unterkunft war Dreh- und Angelpunkt für die nächsten Tage. Viele Sehenswürdigkeiten konnten wir zu Fuss erreichen. Falls die Füsse mal nicht mehr wollten, liessen wir uns von der tiefsten Metro der Welt chauffieren. Die Rolltreppen (ja, wir waren wirklich froh, dass es dort solche gab) scheinen kein Ende nehmen zu wollen. Mit dem Besuch des Ermitage konnten wir Kunstschätze vieler vergangener Epochen bestaunen. Für den Tipp, die Tickes online bereits im Voraus zu buchen und dadurch die Schlange vor dem Eingangsbereich passieren zu können, danken wir Imke und Rainer herzlich. Die Menschenmenge vor dem Eingangsbereich war wirklich unglaublich gross. Brav wie wir sind, haben wir verzichtet den einen oder anderen VanGogh, Picasso, Cézanne oder Monet zu mopsen, zumal die Mitnahme auf den Fahrrädern nicht unproblematisch gewesen wäre. Aber nicht „nur“ die Kunstgegenstände der unglaublich vielfältigen und kaum enden wollenden Ausstellung waren beeindruckend. Der Palast an sich ist mit seinen wunderschönen Sälen und Gängen bereits mehr als einen Besuch wert gewesen.

 

Für die Weiterreise nach Moskau mussten wir zu den bereits ausgestellten Bahntickets (hierbei besten Dank an Frau Baumann von Swiss Travel Club) die Zusatzbillette für unsere Fahrräder organisieren. Die Zusatztickets für die Fahrradmitnahme im Hochgeschwindigkeitszug Sapsan kosteten neben gut zwei Stunden anstehen in russischen Menschenschlangen (Abstand zum Vordermann: 2cm, falls grösser drängt sich einer rein; Abstand zum Hintermann: 0cm, der ist ja Russe und weiss, dass sich sonst einer reindrängen würde) umgerechnet Fr. 1.70. Mehr Körperkontakt für so wenig Geld gab es nur früher beim Anstehen im Silo (Club in Bern).

 

Die Zeit in der wunderschönen Stadt St. Petersburg haben wir sehr genossen, wer weiss wann wir wieder einmal hierher zurückkehren werden.

 

In Moskau wurden wir nach gut vierstündiger Zugfahrt mit Tempi von 200km/h und mehr von Oleg, unserem Vermieter des Appartements, direkt auf dem Perron abgeholt. Dass all unser Gepäck inkl. Fahrräder in seinem Toyota Camry (Limousine) Platz finden würde, hätten wir beim besten Willen nicht gedacht. David wollte, nachdem er das Auto gesehen hatte, erst gar nicht beginnen die Fahrräder abzuladen. In Russland funktioniert halt doch einiges anders. Dank unseren mitgeführten Gummizügen konnten wir die Heckklappe dann doch noch irgendwie fixieren. Das zentral gelegene Appartement (4km Entfernung vom Bahnhof) erreichten wir nach gut einer Stunde. Ja, in Moskau staut es dann schon mal auf 12 Spuren. Oleg nahm es gelassen und wir hofften einfach, dass uns keiner hinten in die aus dem Kofferraum heraushängenden Fahrräder knallt. Kaum waren wir im Appartement angekommen, hat David die WC-Schüssel auf Knien inspiziert. Die aus St. Petersburg mitgeführte und im Schnellzug verzehrte Wurst war wohl Schuld am Unheil. Trotz leichtem Fieber und Unwohlsein beantragten wir Tags darauf das Visum für die Mongolei. Danach war für David wieder Bett und Tee angesagt, während Barbara erste Quartiererkundungen machte, magenverträgliche Kekse anschleppte und Krankenschwester spielte.

 

Wieder fit, verunsicherten wir gemeinsam die Millionenstadt, planten unsere Weiterreise oder liessen einfach die Seele baumeln; das gemütliche Appartement lud geradewegs dazu ein. Den Kreml konnten wir von unserer Bleibe aus zu Fuss besuchen. Für die Registrierung unseres Aufenthalts beanspruchten wir Olegs Hilfe. Der Papierkram nahm über zwei Stunden Zeit in Anspruch. Oleg, der ehemalige Offizier, nahm das Prozedere zu unserem grossen Erstaunen mit stoischer Ruhe zur Kenntnis. In gebrochenem Englisch und eindeutiger Handbewegung liess er verlauten: „This is Russian crazy!“

 

Nach zwölf Tagen Aufenthalt führte uns Oleg erneut mit seinem velotransporttauglichen Auto zum Bahnhof. Unser Ziel war nicht der Bahnhof für die Hochgeschwindigkeitszüge, sondern derjenige der Transsibirischen Eisenbahn. Frühzeitig am Perronbereich angekommen, warteten wir auf die Anzeige unseres Zuges in Richtung Novosibirsk. Noch waren unsere Räder nicht in ihre Einzelteile zerlegt, denn dies sollte, so unser Plan, direkt vor der Waggontüre geschehen. Schweisstreibendes Gepäck- und Fahrradschleppen wollten wir so umgehen und die beladenen Räder bis vor unseren reservierten Waggon schieben. Eigens für den Transport mit der Transsib führten wir Velotransporttaschen mit. Zudem hatten wir für die Räder ein eigenes Bett reserviert. Dass trotz der Demontage von Gepäckträger vorne, Vorderrad und Lenker unsere Räder (die im Übrigen zum Zeitpunkt der Beanstandung bereits brav auf dem Bett in den entsprechenden Taschen verpackt und angezurrt waren) zu gross seien, wollte uns nicht einleuchten. Die Schaffnerin bestand nach Öffnen der Transportsäcke darauf, dass die beiden Hinterräder ebenfalls demontiert werden müssten. Alles diskutieren half nichts. Von der Gegenseite hiess es unmissverständlich: „Malinki, malinki!“ Erst fluchend und dann doch noch schwitzend, demontierten wir im engen Gang die Hinterräder und packten diese ebenfalls in die Transportsäcke. Dass diese danach deutlich breiter und die Platzverhältnisse auf dem „Velobett“ dadurch deutlich unvorteilhafter waren, schien niemanden zu interessieren.

 

Die knapp dreitägige Zugfahrt nach Novosibirsk erlebten wir als spannend und abwechslungsreich. Unsere Abteilgenossen waren angenehm. Das Schnarchen in der ersten Nacht ging im Fahrgeräusch fast unter. Das Passieren der Grenze zwischen Europa und Asien bei Kilometer 1773 hingegen war wenig spektakulär. Eine kleine weisse Steinsäule mit zwei Richtungspfeilen, einer nach Osten (Asien) und einer nach Westen (Europa) zeigend und das war’s. Verändert hatte sich nichts. Noch immer gab es links und rechts viel Wald und Bäume. Ebenfalls wenig spektakulär war das Überqueren des Urals. Ein paar Kurven, einige wenige Höhenmeter und das „Gebirge“ lag hinter uns.

 

Kurz vor Mitternacht erreichten wir die Stadt Novosibirsk. Auf dem Perron bauten wir unter Einsatz enormer Mengen von Mückenmittel unsere Räder zusammen, ehe wir das vorreservierte Hostel ansteuerten. Wir waren unglaublich froh, dass wir unsere Räder beim Kauf mit Licht haben ausstatten lassen. Die Fahrt ins Hostel war somit deutlich entspannter.

 

Die Stadt Novosibirsk haben wir als relativ moderne Stadt erlebt. Zu Fuss sind wir durch die Strassen geschlendert, haben in Parkanlagen Schattenplätze aufgesucht (es war tagsüber sehr heiss) oder sind zum Ufer des Flusses Ob gewandert (auf ein Bad haben wir dann aber doch verzichtet).

 

Nach drei Nächten in Novosibirsk standen wir erneut am Bahnhof. Die Stadt Biysk war unser nächstes Ziel, welche wir nach einer Fahrt mit dem Nachtzug erreichen sollten. Gespannt, ob wir erneut mehr als uns lieb ist von unseren Rädern abschrauben müssen, warteten wir auf den Zug. Leider stand dieser wahrscheinlich den ganzen Tag an der Sonne, denn im Wageninnern fühlte es sich an wie in der dankend abgelehnten Flugplatzsauna. Die Fahrräder – diesmal mit fix montierten Hinterrädern – wurden erneut auf einem separaten Bett transportiert.

 

Biysk erreichten wir in den frühen Morgenstunden. Ideal also um in der Morgenfrische die Räder zusammen zu bauen. Beim lokalen Supermarkt haben wir uns noch rasch mit einem reichhaltigen und fahrradtauglichen Frühstück eingedeckt. Nach Tagen ohne im Fahrradsattel zu sitzen, ging es danach endlich los in Richtung Altai-Gebirge. Kurz nach Biysk passierten wir unsere 5000km-Marke. Wie viele Kilometer liegen insgesamt wohl noch vor uns? Bis an die Grenze zur Mongolei, dies unser nächstes Ziel, waren es vorerst mal rund 600. In exakt zehn Tagen wollten wir die Grenze passieren. Wir hofften, dass wir die Strecke des noch vor einem Monat bisweilen stark überschwemmten Gebiets bis zur mongolischen Grenze durchfahren können. Die Russen sollen ja gut sein im Improvisieren. Wir hofften, dass dies tatsächlich stimmte, denn die Bilder überfluteter Strassen aus dem Internet waren uns auf einmal wieder sehr präsent.

 

Von der Überschwemmung war, wenn überhaupt, nur noch wenig zu sehen. Staub, Hitze und Mücken (diese v.a. abends und in den Waldgebieten) machten uns zu schaffen. War die Strecke anfangs noch flach, zeichneten sich allmählich erste Steigungen und Höhenmeter ab. Wir freuten uns auf die Berge, denn der Streckenverlauf der bisherigen Tour war alles andere als hügelig gewesen. Zudem erhofften wir uns von der zunehmenden Höhe etwas Frische und vor allem aber weniger Mücken. Die Menschen erlebten wir hier als offen und neugierig. Beim Vorbeifahren wurde oft gehupt und gewunken. Mehrmals täglich wurden wir auf unser Abenteuer angesprochen. Meist war der Kommentar schlicht und einfach „malaze“. Dass gerade in den ärmeren Gegenden die Gastfreundschaft gross geschreiben wird, durften wir mehrmals erleben. So war beispielsweise eine 82 Jahre alte Frau (deren Erscheinung auf uns alles als wohlhabend wirkte) von uns und unserem Vorhaben derart angetan, dass sie darauf bestanden hat uns aus dem nahen „Produkti“ zwei Orangen zu schenken. Nicht nur ihre, sondern auch unsere Freude war zu dem Zeitpunkt unglaublich gross. Zum Abschied gab’s für Barbara mehrere herzliche Handküsse. Aber auch die Begegnung mit der „Töff-Gang“ aus Krasnojarsk bleibt uns in guter Erinnerung. Ihre Augen wurden gross als wir erklärten, dass wir täglich zwischen 50 und 90 Kilometer fahren. Sie auf ihren alten Uralmaschinen schafften anscheinend gerade mal 40.

 

Anfänglich noch begeistert von den ersten richtigen Höhenmetern, wurde der Seminski-Pass nicht zuletzt aufgrund der grossen Hitze dann doch zu einer grösseren Herausforderung. Schattenplätze waren rar und die Wasserzufuhr entsprechend gross. Das Rennen gegen den LKW, der wegen der Hitze den Motor regelmässig abkühlen lassen musste und deshalb immer wieder Pausen einlegte, haben wir nur knapp verloren. Oben auf dem Pass angekommen wurden wir von relativ zahlreichen Touristen (alles Russen) bestaunt. Auch hier löste unser Vorhaben oft ein Kopfschütteln und ein „malaze“ aus.

 

Am nächsten Tag, wir sassen gerade in einem der seltenen Cafés und gönnten uns aufgrund der grossen Hitze mal rasch je 1.5 Liter Limonade, trafen wir eine Gruppe Einheimischer. Es war selbstverständlich, dass sie sich zu uns an den Tisch gesellten und uns mit Fragen löcherten. Eine der älteren Frauen sprach relativ gut Deutsch, so dass die Verständigung dann doch etwas einfacher (will nicht heissen, dass Barbaras Russisch-Intensivkurs nicht gefruchtet hätte – im Gegenteil wir kamen bis dahin immer sehr gut zurecht!) klappte. Stolz wurde uns gegenüber verkündet, dass das Altai-Gebiet auch als die 2. Schweiz bezeichnet wird. Wir haben weiter erfahren, dass es lediglich drei Sommermonate gibt, ehe nach einem kurzen Herbst der lange und kalte Winter folgt. Kaum vorstellbar für uns hier im Winter leben zu müssen insbesondere wenn wir uns die allgegenwärtigen einfachen Holzhütten vor Augen führten. Die Sprache im Altai, so die weitere Info der munteren Reisegesellschaft, unterscheidet sich vom Russischen und ist ein Mix aus türkisch, usbekisch und kasachisch. Barbaras Sprachkurs war somit, dies die logische Folgerung, ein Wunderkurs. Denn wie ja vorhin erwähnt, klappte es bis dato mit der Verständigung tipp topp und dies auch ohne das Fach „Altai-Mix“ effektiv belegt zu haben. Übrigens: die besten „Piroschgi“ (Teigtaschen mit Krautfüllung) haben wir hier, fast zuhinterst im Altai-Gebiet gegessen.

 

Die Weiterfahrt war mitunter aufgrund der zu überwindenden Höhenmeter sowie der anhaltend hohen Temperaturen von 40 und mehr Grad (der Asphalt klebte uns zeitweilen an den Reifen) recht anstrengend. Die unglaublich schöne Landschaft, die tollen Plätze für unsere Nachtlager und die vielen herzlichen Begegnungen mit den hier lebenden Menschen, machten die Strapazen mehr als wett.

 

Nicht schlecht gestaunt haben wir, als wir in Aktasch Schweizerdeutsch hörten. Rasch gaben wir uns ebenfalls als Eidgenossen zu erkennen. Es stellte sich heraus, dass die in Moskau lebenden Astrid, Marc und ihre Kinder die Sommerferien im Altai verbrachten. Das gemeinsame Abendessen mit den vieren haben wir sehr genossen. Besten Dank für die Einladung und die Geschenke!

 

Auf der Hochebene vor dem Grenzort Taschanta, dies übrigens an Davids Geburtstag, fegte ein heftiger Sturm über uns hinweg. Das kleine Bushäuschen gab uns den nötigen Schutz vor Wind und Wetter. Die mit 18 Kilometer wohl längste Zielgerade nahmen wir erst nach Wetterbesserung in Angriff. Das Warten hatte sich gelohnt, denn die tolle Stimmung und das warme Licht waren nach dem Sturm dann deutlich mehr „Geburi-like“. A propos Geburi: Nicht schlecht gestaunt hat David, als Barbara am Abend mit Kuchen und Wunderkerze vor dem Zelteingang aufkreuzte – ein sehr emotionaler Moment mitten im Niemandsland...

 

Das Grenzprozedere am darauffolgenden Tag verlief auf russischer Seite einigermassen geregelt. Wir mussten für die Ausreise etwa vier oder fünf Posten erfolgreich durchlaufen, ehe wir auf die Fahrt durch das 20 Kilometer breite Grenzgebiet losgelassen wurden. Auf mongolischer Seite endete auf den Meter genau beim Schlagbaum der Asphalt. Von nun an rollten wir auf staubigen Schotterpisten. Leider stellten wir erst nach einigen holprigen Kilometern und weiteren verschlossenen Gittertoren fest, dass wir noch gar nicht drin waren in der Mongolei. Was beim vorangegangenen Posten effektiv kontrolliert wurde, haben wir nie erfahren... Es war gerade Mittagszeit und wir durften warten, bis die Damen und Herren ihre Arbeit allmählich wieder aufnahmen. Nach einer gefühlten Ewigkeit (es war bestimmt ein tolles Mahl) und erst nachdem unsere Fahrräder mit bösem Desinfektionsmittel abgeduscht wurden, öffneten sich für uns die Tore des Zollgebäudes. Übrigens: es versteht sich von selbst, dass wir für das Einseifen unserer Räder mit dem Gifttrunk noch um einige Rubel erleichtert wurden. Nachdem dann am Posten 4 der Beamte auch noch einen Schreibstift gefunden hatte und sodann sein Visum auf den richtigen Zettel setzen konnte, wurden wir entlassen in die weite Steppe der Mongolei. Mit dem Eintritt in die Mongolei erfüllten wir uns einen lang ersehnten Traum!

 

Zu unserem grossen Erstaunen endete nach rund 40 Kilometer die Schotterpiste und wir fuhren wieder auf Asphalt. Dass sich dadurch auch unsere Reisegeschwindigkeit merklich veränderte kam uns sehr gelegen, denn die Suche nach einem geeigneten Nachtlager gestaltete sich schwieriger als erwartet. Die besten Plätze waren meist mit Jurten besetzt und unsere Suche zog sich etwas in die Länge.

 

Dass die Mongolen grundsätzlich hilfsbereite Menschen sind, haben wir nicht nur gelesen, sondern am nächsten Tag am eigenen Leib erfahren. Wir kämpften uns (übrigens wieder auf ziemlich grobem Schotter) gerade über den 2600 Meter hohen Shin Davaa-Pass, als ein Kleinbus auf unserer Höhe stoppte. Die Zeichen des Fahrers (vom Gesprochenen haben wir kein Wort verstanden) waren eindeutig: wir sollten unser Gepäck inkl. Fahrräder auf die Ladefläche seines Wagens verladen und er würde uns über den Pass mitfahren lassen. Dankend lehnten wir ab und liessen das mit zwei Ziegen und der wohl halben Verwandtschaft beladene Gefährt passieren. Dass dies ein weiser Entscheid war, stellten wir einige hundert Meter später fest, als wir den stehenden Kleintransporter wieder einholten. Der Fahrer war gerade damit beschäftigt Wasser über den heissgelaufenen Motor und Kühler zu schütten. Leider konnten wir ihm und seiner Sippe nicht anbieten mit uns zu fahren und so zogen wir von dannen und waren zu unserem grossen Erstaunen noch vor ihnen auf dem Pass. Auf der anschliessenden Fahrt nach Ölgii vernichteten wir über 1000 Höhenmeter ehe wir in einem Ger Camp für drei Nächte abstiegen und unter anderem die Annehmlichkeiten einer Dusche genossen.

 

Da unser 30-tägiges Mongolenvisum für die Fahrt mit den Fahrrädern nach Ulaanbataar nicht reichen würde, haben wir uns für die nächsten Tage einen Guide inkl. Fahrer und Fahrzeug organisiert, so dass wir motorisiert in die Hauptstadt fahren werden. Neben dem erwähnten Zeitfaktor waren auch mangelnde Versorgungsmöglichkeiten unterwegs sowie die schlechten Strassenverhältnisse ausschlaggebend für diesen Entscheid. Am wichtigsten jedoch schien es uns, mehr vom Land und den Leuten zu sehen und zu erfahren.

 

Bevor wir jedoch mit Fahrer und Guide in Richtung Westen loszogen, erkundeten wir auf eigene Faust die Gegend südlich von Ölgii. Der wunderschöne Tolbo-See oder aber die herzliche Gastfreundschaft der kasachischen Nomaden werden wir nicht so schnell vergessen. Unvergesslich ist auch die Art und Weise wie der uns offerierte Käse zerteilt wurde. Der Klumpen war so hart, dass Hammer und Meissel (kein Witz!) zum Einsatz kamen. Aber erst zusammen mit heissem suutei tsai (gesalzenem Milchtee) schafften wir es, die mehr oder weniger mundgerecht gemeisselten aber leckeren Stücke zu verspeisen.

 

Nach der leider sehr(!) beschwerlichen 17-tägigen geführten Tour vom Westen der Mongolei nach Ulaanbaatar (mit Fahrer, Guide, Programm, Fahrzeug, Essen, Kommunikation etc. wollte es über weite nicht so recht klappen wie wir es uns vorgestellt hatten), sind wir dann doch noch unversehrt in der Hauptstadt angekommen. Mit unseren beiden Begleitpersonen hatten wir den "Zonk" gezogen. Wir waren wirklich sehr froh, als wir nach 17 Tagen endlich aus dem maroden und brettharten russischen Kleinbus steigen konnten. Die gesetzlich vorgeschriebene 0-Promille-Regel scheint hier ziemlich dehnbar zu sein, denn wer einigermassen selbständig und aufrecht auf zwei Beinen stehen, die richtige Fahrzeugtüre öffnen und den Zündschlüssel drehen kann, kann anscheinend ohne Probleme einen Kleinbus mit Passagieren chauffieren... Das und leider vieles anderes mehr hat sich mit unserer Auffassung von Fahrtauglichkeit und Zuverlässigkeit nicht ganz gedeckt. Abgesehen davon haben wir die Mongolei auf der Tour als ein unglaublich schönes, spannendes und abwechslungsreiches Land kennengelernt. Die Begegnungen mit den Nomaden waren interessant und zeitweilen auch sehr lustig.

 

Inzwischen haben wir ein Zimmer bei einer sehr netten und hilfsbereiten mongolischen Familie bezogen und geniessen die Zeit in erster Linie mit Ausschlafen, Entspannen, Stadterkundung und dem einen oder anderen Restaurantbesuch. Daneben planen wir unsere Weiterreise. Die Visaverlängerung für weitere 30 Tage in der Mongolei haben wir bereits im Sack, bzw. den entsprechenden Stempel im Pass. Den Antrag für das Chinavisum ist ebenfalls bereits eingereicht. Wenn alles klappt und unsere Dokumente korrekt und vollständig ausgefüllt waren, können wir das Chinavisum demnächst abholen.

 

 

Ulaanbaatar, 18. August 2014